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Olaf Kistenmacher -
Die "Befreiung" des Konzentrationslagers Neuengamme >>
Olaf Kistenmacher:
Der 27. Januar 1945 in Hamburg
Die "Befreiung" des Konzentrationslagers Neuengamme
Am 27. Januar 1945 starben im Hauptlager Neuengamme 45 Menschen. Ein Drittel von ihnen war nicht einmal 30 Jahre alt; trotzdem deutet bei den »Todesursachen«, die die SS-Ärzte in die Totenbücher eintragen ließen, nichts auf äußere Gewaltanwendung hin, sondern als »Todesursachen« wurden zum Beispiel Herzmuskelschwäche, Tuberkulose oder Darmentzündung angegeben. Nach diesen Unterlagen handelte es sich bei den Toten um Männer »russischer«, polnischer, französischer, niederländischer, belgischer und dänischer Nationalität aus den besetzten Gebieten, zum Teil gefangene Soldaten, zum Teil Zivilisten, als vermeintliche Partisanen festgenommen oder als Zwangsarbeiter ins Deutsche Reich verschleppt. Nur zwei von den an diesem Tag Umgekommenen galten nach den nationalsozialistischen Bestimmungen als »Juden«.[1] Mit insgesamt 1.376 nachweisbaren Toten war der Januar 1945 der Monat mit der höchsten Totenzahl seit Lagerbeginn.[2]
Neuengamme war kein Vernichtungslager wie Auschwitz oder Treblinka, in denen die Insassen massenweise mit Zyklon B ermordet wurden, sondern das Stammlager Neuengamme und seine über ganz Norddeutschland verstreuten über 80 Außenlager waren so genannte »Arbeitslager«.[3] In ihnen starben die Menschen - wenn sie nicht erschossen, totgeprügelt oder mit Phenolinjektionen getötet wurden - an den tödlichen Existenzbedingungen und der mörderischen Zwangsarbeit, d. h. an Hunger, an Kälte und aufgrund fehlender medizinischer Versorgung. »Vernichtung durch Arbeit« haben die Nationalsozialisten selbst diese Weise der Ermordung genannt.[4] Von den rund 106.000 Menschen, die von 1938 bis 1945 im KZ Neuengamme und seinen Außenlagern waren, starben 40.000 bis 55.000;[5] über diese Zahl gibt es bis heute keine exakten Angaben, weil besonders aus den Außenlagern viele Nachweise fehlen.
Das Konzentrationslager Neuengamme war Ende 1938, zunächst als Außenlager des KZ Sachsenhausen, gegründet worden, damit die Häftlinge unter Aufsicht der SS Ziegel für die nationalsozialistischen Prachtbauten produzierten, die in Hamburg am Elbufer errichtet werden sollten. Zusätzlich sollten die KZ-Insassen ab 1940 einen Seitenstichkanal der Doveelbe ausheben und schiffbar machen, um die Backsteine aus dem Klinkerwerk auf dem Schiffswege nach Hamburg bringen zu können. Außerdem wurden seit 1942 im Stammlager Neuengamme von Häftlingen für die auch heute noch existierende Firma Walther Gewehr- und Pistolenläufe hergestellt, für die Firmen Carl Jastram und Deutsche Meßapparate GmbH, kurz Messap (ein Tochterunternehmen des Uhrenherstellers Junghans), U-Bootmotoren und Zünder für Granaten und Minen und für das SS-eigene Unternehmen Deutsche Ausrüstungswerke (DAW) Flugzeugteile und Tarnnetze.[6] Die privaten Firmen hatten seit 1942 Zweigniederlassungen in dem KZ Neuengamme bauen und seitdem dort produzieren lassen. Schließlich stellten die Häftlinge ab Herbst 1943 in dem großen Klinkerwerk, das sie auf dem KZ-Gelände hatten bauen müssen und das heute im Zentrum der KZ-Gedenkstätte Neuengamme steht, Betonfertigteile für die Behelfsheime her, die u. a. in den zerbombten Hamburger Stadtteilen Lurup, Sasel und Poppenbüttel von den weiblichen Häftlingen in den dortigen Außenlagern fertiggestellt wurden.[7] In all diesen Produktionsstätten mussten die Häftlinge auch im Januar 1945 noch bis zu 14 Stunden täglich arbeiten.
Erst im April 1945 machten sich im Hauptlager Neuengamme Auflösungserscheinungen bemerkbar. Einige Außenlager wurden vor den anrückenden alliierten Streitkräften geräumt und die Häftlinge ins Stammlager zurückgebracht. Heinrich Himmler, der sich wahrscheinlich zum Kriegsende über Skandinavien absetzen wollte, verhandelte seit dem Jahreswechsel heimlich mit Graf Folke Bernadotte und gestattete im Frühjahr dem schwedischen Roten Kreuz, die skandinavischen Häftlinge aus allen Konzentrationslagern nach Neuengamme zu bringen, um sie von dort aus nach Schweden zu evakuieren.[8] Die skandinavischen Häftlinge wurden separat von den anderen Häftlingen im sogenannten »Skandinavierlager« untergebracht; ihr Überleben war seitdem gesichert. Die übrigen Teile des Lagers war mit bis zu 14.000 Insassen hoffnungslos überbelegt; bis zu vier Häftlinge mussten sich eine Pritsche zum Schlafen teilen. Um Platz zu schaffen, brachte die SS einige Tausend kranke Häftlinge in das sogenannte »Aufenthaltslager« Bergen-Belsen in die Lüneburger Heide.
Am 19. April 1945 erteilte Himmler den Befehl zur endgültigen Räumung des KZ Neuengamme und gestattete dem schwedischen Roten Kreuz, alle skandinavische Häftlinge nach Dänemark zu bringen.[9] Über 10.000 der übrigen Häftlinge wurden auf Güterzüge verladen, um sie in die Lübecker Bucht zu bringen; aber wegen der Zerstörung der Schienen mußten sie einen Teil der Strecke zu Fuß marschieren. Über den »Todesmarsch« aus dem Neuengammener Außenlager Bremen-Farge berichtet der ehemalige, französische Häftling Francois Hochenauer:
»Wir marschierten vier Tage, vom Morgengrauen bis zur Nacht,
fast ohne Nahrung. Von Zeit zu Zeit, besonders in den kurzen Augenblicken des
Haltens, rafften wir mit unseren Händen soviel Gras und Kraut von der Seite der
Straße, wie wir fassen konnten; wir kauten und aßen es, um uns aufrecht zu
halten. »Es heißt marschieren oder krepieren«, sagten die Deutschen, welche uns
eskortierten. Es waren viele, die, ohnmächtig und schon in der Agonie, sich auf
die Erde dicht am Grabenrand fallen ließen, allein oder in kleinen Gruppen, um
zu sterben. […]
Am 19. [April] waren wir in Lübeck, wo man uns in den Kielraum zweier großer
Schiffe, die am Kai lagen, hinabsteigen ließ. Damit beginnt die höllischste
Zeit unserer ganzen Haft.«[10]
Was mit den Häftlingen aus dem KZ Neuengamme (und aus dem KZ Stutthof) in der Lübecker Bucht passierte, ist heutzutage vielen bekannt.[11] Die Schiffe Cap Arcona und Thielbek mit über 7.000 Häftlingen an Bord wurden am Nachmittag des 3. Mai 1945 von britischen Kampffliegern im Rahmen einer groß angelegten Luftoffensive angegriffen.[12] Die britische Luftwaffe musste in dieser Situation davon ausgehen, dass es sich bei den in die Ostsee auslaufenden Schiffen um Truppen- oder Rüstungstransporte handeln würde, und konnte nicht wissen, dass vor allem KZ-Häftlinge an Bord waren. Die Thielbek mit 2.900 Gefangenen an Bord sank innerhalb einer Viertelstunde; die Cap Arcona mit über 4.700 Gefangenen brannte aus. Die eingeleiteten Rettungsaktionen galten nur den Bewachungsmannschaften. Viele KZ-Gefangene, die sich an Land zu retten versuchten, wurden von Marinesoldaten und dem »Volkssturm« am Strand erschossen.[13] Den Angriff überlebten nur 500 Menschen.[14]
Etwa 700 Häftlinge waren im Lager unter Aufsicht des SS-Lagerführers Anton Thumann mit der Aufgabe zurückgeblieben, das KZ Neuengamme von den Spuren der Gewalt zu bereinigen und auch die Unterlagen der Politischen Abteilung, die Totenbücher und weitere Akten des KZ zu vernichten.[15] Am 30. April 1945 wurden auch diese Häftlinge auf einen Todesmarsch nach Flensburg geschickt, aber da ihre Bewacher vor den anrückenden britischen Truppen flohen, überlebten diese Häftlinge.
Das Konzentrationslager Neuengamme ist also, bevor die Häftlinge durch vorrückende alliierte Truppen aus der Gefangenschaft hätten befreit werden können, geräumt worden - wozu auch die Ermordung von zwanzig Kindern im Außenlager am Bullenhuser Damm gehört, an denen der SS-Arzt Kurt Heißmeyer in Neuengamme sogenannte »medizinische Experimente« vorgenommen hatte.[16] Die britische Armee fand am 2. Mai 1945 das KZ Neuengamme menschenleer.[17]
Die Befreiung der Konzentrationslager von Auschwitz
In den drei großen Lagern von Auschwitz war die Situation
nicht anders: Auch Auschwitz I, Auschwitz II-Birkenau und Auschwitz III-Buna
Monowitz wurden geräumt, bevor die Lager durch die vorrückende sowjetische
Armee befreit werden konnten. Die Räumung der drei Hauptlager von Auschwitz
erfolgte am 18. Januar 1945, also neun Tage vor der eigentlichen Befreiung
durch die sowjetische Armee.[18]
Nur die Häftlinge, die sich aufgrund schwerer Krankheit nicht auf den Beinen
halten konnten, wurden zurückgelassen, von 66.020 Häftlingen waren das
lediglich 7.650 Menschen[19]
- unter ihnen Primo Levi. In seinen Erinnerungen Ist das ein Mensch? bezeichnet Levi die zehn Tage von der Flucht der
Wachmannschaften bis zum Einmarsch der sowjetischen Armee als die »zehn Tage
außerhalb der Welt und außerhalb der Zeit«.[20]
Die anderen fast 60.000 Häftlinge wurden auf verschiedene Todesmärsche zu den KZ Groß-Rosen, Sachsenhausen, Ravensbrück, Buchenwald und schließlich Bergen-Belsen gezwungen.[21] Die Zahl derjenigen, die auf diesen Märschen erschossen wurden, verhungerten oder erfroren, ist nicht genau zu bestimmen, aber es dürften über 15.000 gewesen sein.[22] Wer bis Kriegsende in den anderen Konzentrationslagern umkam, läßt sich nicht genau ermitteln. Lediglich die rund 7.600 kranken Häftlinge, die bei der gehetzten Evakuierung zurückgelassen wurden, erlebten die Befreiung durch sowjetische Soldaten.[23] Levi spricht allerdings, da diese Gefangenen seit der Räumung nicht mehr bewacht wurden, schon von einem früheren Zeitpunkt von »Freiheit«:
»24. JANUAR. Freiheit. Die Bresche im Stacheldraht gab uns einen konkreten Begriff davon. Wenn man es sich richtig überlegte, so bedeutete das: keine Deutschen mehr, keine Selektionen, keine Arbeit, keine Schläge, keine Appelle und später vielleicht die Heimkehr.«[24]
Nur in diesem - für die Betroffenen selbstredend elementar wichtigen - Sinn kann überhaupt von einer »Befreiung von Auschwitz« die Rede sein, lediglich in dem Sinn, dass die Gefangenschaft aufhörte, dass die KZ-Häftlinge nicht mehr der physischen Gewalt ausgesetzt waren. Es mag sein, dass selbst die Betroffenen nach ihrer Befreiung gehofft hatten, dass diese Erlebnisse einmal nicht mehr ihr Leben, ihre Erinnerungen und ihre Träume beherrschen würden. Wie die Biographie Levis, der sich im Frühjahr 1989 das Leben nahm, beispielhaft deutlich macht, ist eine »Befreiung« in diesem Sinn nicht möglich.[25] Alle Überlebenden, die sich öffentlich über ihr Leben nach 1945 geäußert haben, schildern sich als traumatisiert und ihr Leben als beschädigt.
Aus dem eben Ausgeführten sollte deutlich hervorgehen, dass am 27. Januar 1945 der größere Teil der Auschwitzer Häftlinge nicht befreit worden ist und dass es deswegen eine Illusion wäre, zu glauben, man könne an diesem Gedenktag symbolisch, da der Name Auschwitz zum Synonym für alle Konzentrationslager geworden ist, gewissermaßen dem Ende der Konzentrationslager und der massenweisen Vernichtung gedenken. Die Vernichtungsmaschinerie lief bis Kriegsende weiter. Fast alle der über zwanzig KZ-Stammlager wurden geräumt, bevor sie befreit werden konnten (nur Bergen-Belsen, Buchenwald und Dachau nicht, wenn man von den großen Lagern ausgeht); die Häftlinge wurden weiter verschleppt, um viele von ihnen schließlich doch noch umzubringen. Nach Schätzungen starben zwischen Januar und Mai 1945 noch etwa 230.000 bis 300.000 Menschen in den Lagern oder auf den Todesmärschen.[26] Dass nicht einmal mit dem Ende der Konzentrationslager das Überleben gesichert war, macht die Befreiung des Lagers Bergen-Belsen deutlich. Nach der Befreiung am 15. April 1945 durch die britische Armee starben in den darauffolgenden fünf Wochen 13.992 Menschen an den Folgen der Lagerzeit.[27]
Der Befreiung gedenken?
Aber wenn man in Deutschland am 27. Januar der »Befreiung
von Auschwitz« gedenkt, dann kann es nicht darum gehen, sich die Perspektive
der KZ-Häftlinge auf diese Ereignisse anzueignen. Die Erinnerung an dieses
Ereignis kann in Deutschland nicht die Erinnerung derjenigen sein, die, wie
Levi schrieb, den »Deutschen« entkommen waren.
Gleichwohl gibt es unter den Deutschen bis heute den Wunsch, sich von der Vergangenheit »befreien« zu wollen. Das ist psychologisch nachvollziehbar, dass es unter den Täterinnen und Tätern und unter ihren Kindern, Enkeln und Urenkeln ein Bedürfnis gibt, sich von der Last dieser Verbrechen zu befreien. Generell gibt es unter Deutschen den Wunsch, sich von Auschwitz zu befreien, selbst unter denen, die von den Nationalsozialisten verfolgt wurden. Die Geschichte - oder besser die Vorgeschichte - der KZ-Gedenkstätte Neuengamme ist hierfür ein Beispiel. Die Stadt Hamburg übernahm das Gelände von der britischen Besatzung, um 1949 den größten Teil der Häftlingsbaracken und SS-Stuben abzureißen und genau an der Stelle ein modernes Gefängnis zu errichten, das für seinen vorbildlichen, humanen Strafvollzug stehen sollte. Der damalige Bürgermeister der Stadt Hamburg, Max Brauer, der als Sozialdemokrat selbst vor den Nationalsozialisten geflohen war, begründete den Entschluss gegenüber der französischen Vereinigung ehemaliger Häftlinge Amicale Internationale de Neuengamme (AIN) damit, dass es das beste wäre, das KZ Neuengamme »aus der lebendigen Erinnerung auszulöschen«:
»Jedoch bin ich der Ansicht, daß im Interesse einer sich anbahnenden Verständigung der Völker - insbesondere des französischen und des deutschen Volkes - alles vermieden werden sollte, was an alte Wunden rührt und schmerzliche Erinnerungen wachruft. […] Die Schaffung einer Wallfahrtsstätte in Neuengamme würde sicherlich bei den Teilnehmern der Wallfahrten aus ihrem verständlichen Leid heraus durchaus berechtigten Gefühle der Abkehr gegen diejenigen, die an ihrem Verlust und Schmerz schuldig sind, wach werden lassen. Ich glaube[,] es sollte alles getan werden, um die furchtbaren Entsetzlichkeiten der vergangenen Epoche möglichst bald durch gegenseitigen Verständigungswillen zu überbrücken und allmählich aus der lebendigen Erinnerung auszulöschen.«[28]
Für die Gefängnisleitung stellte der Bau des Gefängnisses auf dem Gelände des KZ Neuengamme sogar eine Form von »Wiedergutmachung« dar. In einem internen Schreiben des Gefängnisleiters Buhl hieß es:
»Der Ruf seiner Unmenschlichkeit und die grauenhaften Schrecken dieses Lagers müssen ausgelöscht werden aus der lebendigen Erinnerung an unsere Zeit. Hierzu wird jetzt die Gelegenheit geboten, nämlich hier eine vorbildliche Gefangenenanstalt aufzubauen, die den Ruf Neuengammes und damit Hamburgs wiederherstellt. Das Schandmal der Vergangenheit möge ausgelöscht werden und Neuengamme uns eine Verpflichtung zur Wiedergutmachung bedeuten, die wir willig übernehmen […].«[29]
Die KZ-Gedenkstätte Neuengamme, die man heute besuchen kann, besteht erst seit den achtziger Jahren, und nur durch die hartnäckige Initiative ehemaliger Häftlinge und verschiedener privater Förderung. Trotz eines Versprechens seitens des damaligen Ersten Bürgermeisters der Stadt Hamburg Henning Voscherau 1989, die Justizvollzugsanstalt (JVA) Vierlande XII würde bis 1995 verlegt worden sein,[30] blieb das Gefängnis bis 2003 in Betrieb. Die JVA IX, die Ende der 60er Jahre noch hinzugekommen ist, wurde erst 2005 geschlossen, und man kann derzeit die Abrissarbeiten inmitten des Gedenkstättengeländes beobachten.
Trotzdem möchte viele Deutsche einen Schlussstrich ziehen. 2004 stimmten über 60% der Aussage zu, sie seien es leid, »immer wieder von den deutschen Verbrechen an den Juden zu hören«.[31] Noch in Erinnerung ist vielleicht die Klage des Schriftstellers Martin Walser, dass Deutsche ständig an die nationalsozialistischen Massenmorde erinnert würden und dass bis heute ein Mißtrauen des Auslands gegenüber Deutschland bestünde.[32]
Es kann deswegen nicht darum gehen, den Holocaustgedenktag am 27. Januar, den Bundespräsident Roman Herzog 1995 in Deutschland initiiert hat und der 2005 zum internationalen Holocaustgedenktag erklärt wurde, generell abzulehnen. Aber man muss sich sehr deutlich vor Augen führen, was das Gedenken an den 27. Januar 1945 in Deutschland bedeuten muss. Gegen Forderungen nach einem solchen »Befreitwerden von Auschwitz«, die mit dem Wunsch, einen Schlussstrich zu ziehen, einhergehen, ist es wichtig, die Vernichtungsmaschinerie und den KZ-Terror nicht als etwas zu betrachten, das gewissermaßen von außen auf die Deutschen gekommen ist und von dem sie sich befreit worden seien wie von einer fremden Herrschaft. Statt dessen sollten wir Auschwitz als etwas sehen, das aus der deutschen, abendländischen Kultur hervorgegangen ist. Nicht erst das Fortbestehen antisemitischer Einstellungen in Deutschland machen die Kontinuität dieser Kultur deutlich.[33] Bei meiner Arbeit in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme mache ich immer wieder die Erfahrung, dass zwar ein Wissen darüber besteht, dass Jüdinnen und Juden und Menschen, die sich nicht als Juden sahen, aber nach den Bestimmungen der nationalsozialistischen Rassegesetze als »Juden« galten, ohne Ausnahme ermordetm vernichtet werden sollten. Aber die größte Gruppe von Opfern im KZ Neuengamme waren keine Juden, sondern so genannte »slawische Untermenschen«, Menschen aus der Sowjetunion, aus Polen, die verschwinden sollten, um Platz zu schaffen für den zukünftigen deutschen »Lebensraum im Osten«. Die Erinnerung an den 27. Januar 1945, das Andenken an die Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik sollte für uns bedeuten, die Elemente unserer Kultur benennen zu können, die zu diese Politik geführt haben - wovon wir noch weit entfernt sind. Wir müssen eine Antwort darauf finden, weshalb der Antisemitismus diese Beständigkeit in unserer Kultur aufweist, warum gerade »Juden«, Homosexuelle, sogenannte »Zigeuner«, Russen und Polen das Ziel der rassistischen Vernichtung waren, welche Vorgeschichte dieser Vernichtungswille hat - und welche Nachgeschichte - und warum viele dieser Menschen gerade durch »Arbeit« vernichtet werden sollten.[34]
Dieser Text geht auf einen Vortrag im Jahre 2000 zurück, in dem die Universität Hamburg den Holocaustgedenktag erstmals mit einer öffentlichen Veranstaltung begehen wollte.
Mit einem Symposium würdigt die Universität Hamburg am 27. Januar 2000 den Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz (27. Januar 1945). Unter dem Obertitel "Der Befreiung, der Selektion gedenken" referieren eine Nachwuchswissenschaftlerin und zwei Nachwuchswissenschaftler in Kurzvorträgen über Themen, mit denen sie sich schon länger wissenschaftlich intensiv beschäftigt haben: Regina Mühlhäuser (Fachbereich Geschichtswissenschaft) spricht über "Der 8. Mai und der 27. Januar", Olaf Kistenmacher (Fachbereich Philosophie/Sozialwissenschaften) zum Thema "Der 27. Januar in Hamburg: Die "Befreiung" des Konzentrationslagers Neuengamme" und Ole Frahm (Fachbereich Sprachwissenschaften) über "Art Spiegelmans "Maus: A Survivor's Tale". Die von Prof. Dr. Jörg Schönert moderierte Veranstaltung findet von 16 bis 18 Uhr in Saal II des Auditoriums maximum statt.
Vizepräsident Prof. Dr. Dr.h.c. Wilfried Hartmann, der bei der Veranstaltung am 27. Januar eine Einführung geben wird:
"Ab diesem Jahr wird sich die Universität Hamburg regelmäßig am Gedenken an den Holocaust beteiligen. Um einer Inflation von Feierstunden vorzubeugen und vordergründiger Ritualisierung des Gedenkens entgegenzuwirken, haben wir hierfür eine besondere, der Universität angemessene Form gewählt. Unser Ziel ist es, die zweite und dritte Generation nach 1945 aktiv in die Behandlung des Themas Erinnern und Gedenken einzubeziehen. Mit dem Symposium, für das wir uns entschieden haben, soll der wissenschaftliche Nachwuchs ein Forum für seine Art der Behandlung dieses Themas erhalten." (http://www.uni-hamburg.de/PSV/PR/Presse/Mitteilu/holo.html)